Komplex und mit unübersehbaren Brüchen behaftet ist meine
Interpretation des Seins. Alle Werke verbindet eine gezielt herbeigeführte
Gegensätzlichkeit in mannigfacher Ausprägung und Intensität. Der
Grundgedanke, dem dieses künstlerische Prinzip folgt, ist die sichtbare
Abkehr vom perfektionierten Ideal und der gestalterischen
Geschlossenheit. Ich freue mich auf Ihr Interesse, Ihre Gedanken,
Anregungen, Kritiken und Vorschläge.
MANIFEST ZUR
NEGATION DER HARMONIE
WERKE
ALLE JAHRGÄNGE
Nein, Künstler sollen nicht bessern und bekehren.
Sie sind viel zu gering. Nur bezeugen müssen sie.
OTTO DIX (1958)
ADRESSE
Andreas Zimmermann
Peitzer Straße 1
15232 Frankfurt (Oder)
Brandenburg
GERMANY
Vorbemerkung
Die
Moderne
in
der
Malerei
begann
mit
dem
Ende
der
Malerei.
Ein
geflügel-
tes
Wort
und
anerkannte
Wahrheit.
Fotografie
und
Film,
also
Formen
techni-
scher
Reproduktion,
entzogen
dem
Malenden
zum
Anfang
des
20.
Jahrhun-
derts
den
Hauptbestandteil
seiner
Professur.
Bis
dahin
war
klar,
dass
das,
was
ein
Bild
ausmacht,
die
weitgehende
Interpretation
einer
Vorlage
sein
durfte.
In
dem
Umfang,
wie
die
fotografische
Wiedergabemöglichkeit
sich
vervoll-
kommnete,
verschwand
die
Notwendigkeit
mit
der
Malerei
Abbilder
des
Sicht-
baren
zu
schaffen.
Die
Implosion
des
Gemäldes
Anfang
der
20er
Jahre
zur
monochromen
Fläche
bereitete
dann
endgültig
die
Grundlage
für
den
Neuan-
fang.
Es
entwickelte
sich
eine
permanente
Suche
nach
dem
Was
und
dem
Wie.
Die
Ergebnisse
schwanken
zwischen
Abstraktion
und
Gegen-ständlich-
keit, zwischen Semantik und der Verweigerung jedweder Bedeutung.
Der Hintergrund
Autonomie
und
völlige
Unabhängigkeit
sind
utopische
Vorstellungen
jenseits
der
erlebbaren
Realität.
Gleiches
gilt
für
die
Harmonie.
Partiell
gibt
es
Harmo-
nien
millionenfach.
Doch
selten
bleiben
diese
Zustände
über
einen
längeren
Zeitraum
bestehen.
Jede
einzelne
Harmonie
wird
beim
Aufeinandertref-fen
mit
anderen
Harmonien
zur
Auseinandersetzung
gezwungen.
Es
entwickeln
sich
Konflikte,
die
im
permanenten
Widerstreit
der
Werte,
Weltanschauun-
gen,
Religionen
und
Kulturen
ihren
Ausdruck
finden.
Ein
eindeutiges
„JA”
be-
deutet
immer
auch
ein
„NEIN”
gegenüber
der
möglichen
Alternative.
Akzep-
tiert
man,
dass
Gegensätze
und
Brüche
gegenüber
Harmonie
und
Geschlos-
senheit
ein
strukturelles
Übergewicht
besitzen,
wird
der
molekulare
Kern
erfasst, der für die zukünftige Entwicklung von substanziellem Interesse ist.
Sichtbar
werden
diese
komplexen,
widerspruchsvollen
Zusammenhänge
aber
erst,
wenn
es
gelingt,
sie
auch
darzustellen.
Das
bedeutet
zunächst,
die
bis-
herigen
Wertmaßstäbe
auf
den
Prüfstand
zu
stellen
oder
zumindest
neu
zu
hinterfragen.
Einzig
der
Sinngehalt
einer
dargestellten
Thematik
kann
zum
Maßstab
der
Betrachtung
herhalten,
nicht
etwa
die
mögliche
Geschlossen-
heit
der
Darstellung
und
die
künstlerisch-handwerkliche
Vollkommenheit.
Das
kann
zum
völligen
Bruch
mit
bisherigen
Wahrheiten
führen,
wenn
er
dem
einzelnen Werk seine Bedeutung gibt (muss aber nicht).
Die
Konsequenz
hieraus
ist,
dass
jedwede
Form
und
Kombination
von
In-
halten,
Handschriften
oder
Ausdrucksmitteln
möglich,
ja
in
gewisser
Weise
notwendig
ist.
Im
Irrsinn
versteckt
sich
das
Genie
und
am
Ende
der
Erkennt-
nis
lauert
ein
Schwarzes
Loch.
Strukturen
begleiten
sich
und
bedingen
ein-
ander
in
der
Art,
wie
die
Beachtung
der
Gesetze
der
Statik
einem
Gebäude
seine
Form
erhält
oder
die
Gravitation
die
Planeten
auf
Umlaufbahnen
um
die
Sonne zwingt.
Abstraktion
und
Realität,
Harmonie
und
Widersprüchlichkeit
sind
nur
dann
in
ihrer
Bedeutung
wahrnehmbar,
wenn
sie
sich
an
ihren
Gegensätzen
reiben
können.
Alles
bleibt
in
ständiger
Bewegung.
Nichts
ist
endgültig.
Was
kommt,
ist
da
und
wird
wieder
vergehen.
Das,
was
uns
umgibt,
ist
unendlich
variabel
und
bleibt
niemals
singulär.
Gelingt
es,
dies
sichtbar
werden
zu
lassen,
dann
kann Komplexismus daraus entstehen.
Das Modell
Der
Gedanke
des
Komplexismus
in
der
Kunst
ist
nicht
neu.
In
der
Musik
gibt
es
Komplexismus
seit
rund
20
Jahren.
Ulrich
R.
Haltern
(Humboldt-Universi-
tät)
schreibt
dazu
in
seinem
Aufsatz
„Polyphonie
und
Komplexismus,
gesell-
schaftliche
Differenzierung
und
Rechtsprechungsminimalismus”
(Musik
(und
Recht)
heute,
HFR
1999,
Beitrag
9,
Seite
8)
zur
Definition:
„Komplexismus
kann
als
direkte
(und
potenzierte)
Umsetzung
polyphonen
Denkens
angesehen
werden,
ja
als
„Polyphonie
von
Polyphonien”
(Boulez).
Mahnkopf
-
selbst
Kom-
ponist
und
sich
dem
Komplexismus
zurechnend
-
nimmt
eine
Definition
von
Polyphonie
als
Ausgangspunkt,
nach
der
diese
„Dissoziation
der
musikali-
schen
Diskursivität”
ist.
Von
der
Polyphonie
(als
Dissoziation
der
musika-
lischen
Linien)
ist
es
dann
nur
noch
ein
kleiner
Schritt
zur
Polymorphie
(als
Dissoziation
der
Gestalten,
etwa
der
Gesten,
Motive
und
Themen)
und
schließlich
zur
Polyprozessualität
(als
Dissoziation
der
die
polymorphen
Linien
verzeitlichenden
Prozesse).
Doch
nicht
genug
der
Polyismen:
Hinzu
kommen
neben
diesen
„traditionellen”
Dissoziationsmodi
noch
Polyvektorialität
(eine
Vorbereitung
von
Kompositionsmaterial
nach
unterschiedlichen
Techniken),
Polykonzeptualität
(Dissoziation
des
das
individuelle
Werk
konstituierenden
Konzepts)
und
schließlich
Polywerk
(als
Dissoziation
des
in
sich
geschlossenen
und
integralen
Werks
-
man
kennt
dies
bereits
aus
dem
14.
und
15.
Streich-
quartett
Milhauds,
die
sowohl
einzeln
als
simultan,
nämlich
als
Oktett,
auf-
führbar
sind).
Komplexismus
verbindet
sich
insbesondere
mit
dem
Namen
Brian
Ferneyhough,
daneben
etwa
mit
seinen
Schülern
Klaus
K.
Hübler
und
Frank
Cox.
Am
auffallendsten
am
Komplexismus
dürfte
die
äußerst
kompli-
zierte
Notation
sein,
die
an
den
Interpreten
die
allergrößten
Schwierigkeiten
stellt.
Die
einzelnen
Spielvorgänge
selbst
sind
polyphonisiert.
Für
ein
Instru-
ment
-
etwa
die
Flöte,
also
ein
Instrument,
das
nur
einen
Ton
gleichzeitig
spie-
len
kann
-
existieren
gleich
eine
ganze
Reihe
von
Notensystemen.
Das
Noten-
bild
bedarf
für
die
diversen
parame
trischen
Ebenen
der
Spielmotorik
mehre-
rer
Systeme,
weil
die
auseinandergenommenen
Spielaktionen
bezeichnet
werden
müssen:
Etwa
Vibratostärke,
Atem-
oder
Klappergeräusche,
Finger-
perkussion
auf
dem
Instrumentenkörper
oder
dem
Griffbrett,
Bogenort
und
-
geschwindigkeit,
Dauer,
Stärke
und
Rhythmik
von
Bogenvibrato,
Fingeraktio-
nen
und
-druck,
natürlich
auch
Dynamik,
Tonhöhe
und
Tonlängen
usw..
Die
immense
Kompliziertheit
betrifft
sowohl
die
Rhythmik
als
auch
die
techni-
schen Anforderungen.
Zugleich
entsteht
durch
die
Notation
eine
Art
„Augenmusik”,
die
eine
visuelle
Vorstellung
vom
klanglichen
Ergebnis
ermöglicht.”
Beide
Herangehensweisen
(Musik
und
Bildende
Kunst)
haben
eine
große
Gemeinsamkeit
-
sie
gehen
von
Formen universeller Verflechtung aus.
Zeitliche
und
räumliche
Vorgänge
treffen
aufeinander,
verschmelzen
und
las-
sen
schließlich
neue
Formen
entstehen.
Es
geschieht
per
zufälligem
Aufein-
andertreffen
oder
auch
planvoll
konstruiert.
Die
Formenvielfalt
des
Kom-
plexismus
in
der
Bildenden
Kunst
ist
jedoch
noch
größer
als
in
der
Musik,
da
neben
der
visuellen
Wahrnehmung
weitere
Sinne
angesprochen
werden
kön-
nen.
Möglich
ist
dies
in
direkter
oder
indirekter
Weise.
Indem
man
komplexe
Gedankengänge
in
einer
Arbeit
vereint,
entstehen
Werke
des
direkten
Kom-
plexismus.
Werden
einzelne
Arbeiten
mit
anderen
Arbeiten
derart
in
Bezieh-
ung
gebracht,
dass
sie
als
Gesamtwerk
anzusehen
sind,
entsteht
indirekte
komplexistische Kunst.
All
das
allein
reicht
aber
nicht
aus,
um
wirklich
komplexistisch
zu
sein.
Kaum
eine
Wahrheit
ist
derart
absolut,
dass
sie
sich
nicht
irgendwann
ins
Gegenteil
verkehrt.
Der
Faktor
Zeit
spielt
deshalb
eine
heraus-ragende
Rolle.
Erst
wenn
es
gelingt,
substanzielle
Bestandteile
und
zeitliche
Prozesse
als
Einheit
darzu-
stellen, entsteht KOMPLEXISMUS.
Andreas Zimmermann, Frankfurt (Oder), 19. Oktober 2005